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An diesem Wochenende jährt sich das Massaker an hunderten Palästinensern in den Flüchtlingslagern von Sabra und Shatila zum 25. Mal. In der modernen Geschichte des Nahen Ostens gab es zahlreiche andere Verbrechen ähnlichen oder gar größeren Ausmaßes, dennoch haben sich die Ereignisse des Septembers 1982 in besonderem Maße in das Gedächtnis Vieler eingebrannt, nicht zuletzt deshalb weil die Morde von Sabra und Shatila unter den Augen des israelischen Militärs stattfanden.
Seit den 1970ern hatte die PLO vom Südlibanon aus Raketenangriffe auf Israel durchgeführt. Nach der versuchten Ermordung des israelischen Botschafters in London, Shlomo Argov, entschloss sich die israelische Führung zu einer breit angelegten Invasion des Libanon. 60000 israelische Soldaten marschierten in den Zedernstaat ein, umzingelten die PLO-Führung in West-Beirut und zwangen Yassir Arafat und seine Getreuen zum Abzug aus der libanesischen Hauptstadt, der am 1.September abgeschlossen wurde. Im Gegenzug verpflichtete sich die israelische Seite gegenüber den USA auf die Einnahme West-Beiruts zu verzichten. In der Zwischenzeit war Bachir Gemayel, Chef der christlichen Miliz „Lebanese Forces“ – dem militärischen Arm der Falangisten, am 23.August vom Parlament zum neuen libanesischen Präsidenten gewählt worden. Der Maronit Gemayel war ein Verbündeter Israels und traf sich nach der Wahl mit Israels Ministerpräsident Menachem Begin. Der baldige Abschluss eines Friedensvertrages zwischen Libanon und Israel nach der Amtseinführung Gemayels galt als wahrscheinlich. Am 14.September 1982 wurde Bachir Gemayel jedoch mit 25 Anderen bei einem Bombenanschlag auf das Hauptquartier der Falangisten im Beiruter Stadtteil Achrafieh ermordet, 9 Tage bevor der das Amt des Staatspräsidenten offiziell antreten konnte. Habib Tanious Shartouni, wie Gemayel libanesischer Maronit, gestand die Tat. Shartouni war Anhänger der Syrischen Sozialen Nationalistischen Partei (SSNP) und gab als Motiv für seine Tat an, einen Ausverkauf des Libanon an Israel verhindern zu wollen.
Daraufhin marschierte die israelische Armee entgegen des Abkommens mit den Vereinigten Staaten, die für die Sicherheit für die muslimischen Bewohner bürgten, am 15.September in West-Beirut ein. Binnen weniger Stunden kontrollierte die IDF die Zugänge zu den palästinensischen Flüchtlingslagern von Sabra und Shatila. Gegen 18 Uhr drangen die ersten Milizionäre der Lebanese Forces unter der Führung von Elie Houbeika mit Billigung des israelischen Militärs in die Lager ein, offiziell um nach verbliebenen PLO-Kämpfern zu suchen, tatsächlich verlangten sie jedoch nach Rache, da sie Palästinenser hinter dem Mord an ihrem Anführer Bachir Gemayel verlangten. In den Camps trafen die Falangisten praktisch auf keinerlei Widerstand, vergewaltigten Frauen, schossen wahllos auf Zivilisten. Bereits um 23 Uhr erreichten das IDF-Hauptquartier in Ost-Beirut erste Berichte aus dem Lager, die von 300 Toten sprachen, unter ihnen viele Zivilisten. Gleichwohl setzte die israelische Armee den Einsatz von Leuchtmunition über den Lagern fort, die den Falangisten das Morden erleichterten. Unter anderem drangen die LF-Männer in das Gaza-Krankenhaus ein, ermordeten Ärzte, Pfleger und Patienten. Die Milizionäre wüteten bis Morgen des 18.September in dem Lager, erst dann gelang es ersten Journalisten in das Camp vorzudringen, denen sich ein Bild des Grauens bot. Die Anzahl der Todesopfer liegt bis heute im Dunkeln. Israelische Quellen geben 700-800 tote Zivilisten an, der Palästinensische Rote Halbmond zählte mehr als 2000 Opfer. Nachdem sich die Nachricht vom Massaker über Nachrichtenagenturen und Fernsehsender in alle Welt verbreitete, brach eine Protest-Welle über der israelischen Regierung ein, der Komplizen- und Mittäterschaft an den Verbrechen vorgeworfen wurde. Es kam zu anti-semitischen Gewalttaten in Europa, so explodierten etwa Bomben in Synagogen in Mailand und Rom.
In einer ersten Reaktion vom 19.September wies die Regierung von Ministerpräsident Begin jede Verantwortung für die Ereignisse zurück und erklärte, die Kritiker am Vorgehen der israelischen Armee strickten an einer „Ritualmordlegende gegen den jüdischen Staat und seine Regierung“. Von Friedensnobel-Preisträger und Ministerpräsident Menachem Begin ist das Zitat überliefert: „Gojim töten Gojim und die Juden werden angeklagt.“ Doch auch in Israel selbst wuchs in der Folge die Kritik an Regierung und Militär. Am 25.September demonstrierten etwa 300000 Israelis in Tel Aviv und forderten eine Untersuchung über die Rolle der IDF in dem Massaker. Am 28. September beschloss die Regierung auf Grund des innen- wie außenpolitischen Drucks die Einrichtung einer Untersuchungskommission unter der Leitung von Yitzhak Kahan, dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofs. Am 8.Februar 1983 veröffentlichte die Kahan-Kommission ihren Abschlussbericht, der auf Zeugenaussagen israelischer Militärs, Politiker und falangistischer Milizionäre basierte. Darin wird die israelische Armee vom Vorwurf freigesprochen, direkt an den Morden beteiligt gewesen zu sein. Die „direkte Verantwortung“ für die Verbrechen, die innerhalb der drei Tage in Sabra und Shatila verübt wurden, lag demnach allein bei den Falangisten. Allerdings sei die israelische Armeeführung insofern „indirekt verantwortlich“, als dass sie, obwohl sie von dem Massaker an den Zivilisten frühzeitig wusste, keine ernsthaften Schritte unternahm, dieses zu stoppen. Israels damaliger Verteidigungsminister Ariel Sharon trage hierfür „eine persönliche Verantwortung“ und sollte, so die Empfehlung des Kahan-Berichts, zurücktreten. Sharon hätte in Betracht ziehen müssen, dass die Falangisten Gewalttaten an den Zivilisten verüben würden und der Miliz daher den Zutritt zu den Lagern untersagen müssen. Ebenso wurde die Entlassung des Chefs des Militärgeheimdienstes Yehoshua Yaguy empfohlen, der in jenen drei Tagen seinen Pflichten nicht nachgekommen sei.
Diesen Empfehlungen wurde entsprochen, gleichwohl blieb Ariel Sharon als Minister ohne Geschäftsbereich Regierungsmitglied. 18 Jahre später wurde Sharon zum israelischen Regierungschef gewählt. Elie Houbeika, der Mann, der die Falangisten kommandierte schlug sich später auf die Seite Syriens und bekleidete nach dem Ende des libanesischen Bürgerkriegs in den 1990ern mehrere Regierungsämter. Am 24.Januar 2002 wurde Houbeika in Beirut bei einem Autobombenanschlag getötet, dessen Urheber bis heute nicht ermittelt werden konnten. Kurz zuvor hatte er angekündigt, vor einem Gericht in Belgien, wo inzwischen ein Verfahren gegen Ariel Sharon angestrengt worden war, gegen den damaligen israelischen Premierminister aussagen zu wollen. Die Lebanese Forces blieben bis zum syrischen Abzug 2005 im Libanon offiziell verboten. Heute stellen sie 5 Parlamentsabgeordnete und sind wichtiger Teil des Regierungsbündnisses von Ministerpräsident Fouad Siniora.
Sonntag, 16. September 2007
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